„Die Welt und ihre Reize mag für hochsensible Menschen überwältigend sein,
aber sie ist auch voller Schönheit und Tiefe, die nur sie erkennen und empfinden können.“
Hochsensitivität
In den 90er Jahren veröffentlichten Aron und Aron ihren ersten einschlägigen Artikel über das Konstrukt der Hochsensibilität (Sensory-processing sensitivity and its relation to introversion and emotionality. Journal of Personality and Social Psychology, 73, 345 – 368.).
Der deutschsprachige Begriff Hochsensitivität wird dem wahrnehmungsychologischen Anspruch des Konstrukts am ehesten gerecht. Die Autoren berufen sich in ihrer Forschung auf Vorgängerarbeiten, die sich mit bestimmten Hirnregionen – den Reizfiltersystemen und Arealen, die Reize emotional bewerten (Thalamus & Amygdala) auseinandergesetzt haben (z.Bsp. Kagan, 1994).
Hochsensitivität setzt sich per Definition aus einer (1) gründlichen Informationsverarbeitung, dem (2) Potential zur Übererregbarkeit, (3) emotionaler Intensität und (4) sensorischer Empfindsamkeit zusammen. Die theoretischen Ausführungen verstehen SPS (sensory processing sensitivity) als Persönlichkeitseigenschaft und formulieren es als Merkmal (Trait), welches das menschliche Erleben und Verhalten über verschiedene Situationen hinweg beeinflusst.
Sensitivität ist grundsätzlich eine Eigenschaft, die in unterschiedlicher Ausprägung bei Menschen vorhanden zu sein scheint. Der Unterschied zwischen hochsensitiven und weniger sensitiven Personen ist dabei offenbar die Art und Weise, wie innere und äußere Reize von hochsensitiven Personen verarbeitet werden (wahrnehmungsgebundenen Informationsverarbeitung). Nämlich offener, subtiler und generell intensiver. Man kann daraus schlussfolgern, dass das Erregungsniveau des Nervensystems bei ein und demselben Reiz unterschiedlich stark ausgeprägt ist, je nachdem ob eine Person hochsensitiv veranlagt ist oder nicht.
So erklärt sich ein höheres Erschöpfungspotential bei gleichzeitig starkem Bedürfnis nach Ruhe und Regeneration. Dies wird ungerechtfertigterweise häufig mit einer generell geringeren Belastbarkeit gleichgesetzt. Doch weisen hochsensitiv verarbeitende Menschen im Gegenteil oft sogar ein hohes Maß an psychischer Widerstandskraft (Resilienz), eine intuitive Problemlösekompetenz und ausgeprägte Fähigkeiten im zwischenmenschlichen Bereich (ausgeprägte Empathie und kommunikative Fähigkeiten, hoher Gerechtigkeitssinn und Einfühlungsvermögen) auf.
Neben einem feinen Gespür für Ästhetik und Harmonie, können auch psychologische Aspekte wie Perfektionismus, Schwierigkeiten mit Veränderungen und Probleme in der Abgrenzungsfähigkeit relevant werden.
Es handelt sich bei der hochsensitiven Wahrnehmungsfähigkeit also um ein psychologisches Phänomen mit einigen Ressourcen und gleichermaßen herausfordernden Aspekten. Auch im Kontext weiterer Neurodivergenzen kann Hochsensitivität als Kennzeichen zum Thema werden (z.Bsp. Hochbegabung, ADHS oder Autismus Spektrum).
Entscheidend für den Umgang und ein authentisches Leben mit Hochsensitivität ist der aufklärende Wissenserwerb (Psychoedukation) und die aktive Gestaltung individueller Lebens- und Entwicklungsräume (z. Bsp. Beziehungen, Berufsausübung, Alltagsbewältigung).